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In Folge 17 der großen geopolitischen DWN-Serie analysiert Moritz Enders ein kleines Land im Herzen Europas, das seine Sicherheit und seinen großen Reichtum einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Faktoren verdankt.

Mag Europa noch so heftig von politischen und wirtschaftlichen Stürmen heimgesucht werden: Die Schweiz, das kleine Land im Zentrum des Kontinents, ist und bleibt ein Hort der Stabilität. (Quelle: Google Maps / DWN)

Fast die Hälfte des Schweizer Territoriums entfällt auf die Alpen, deren Gipfel im Kanton Wallis, also im Südwesten des Landes, oft weit über 4.000 Meter in den Himmel ragen. Im Nordwesten erhebt sich das Jura-Gebirge mit Kämmen von teilweise über 1.500 Metern Höhe und grenzt das Land gegen Frankreich ab. Zwischen diesen beiden Gebirgen liegt das Schweizer Mittelland, ein zwischen 30 und 70 Kilometer breiter Streifen fruchtbaren Bodens, der sich vom Bodensee bis zum Genfer See erstreckt. Hier leben etwa zwei Drittel aller Schweizer. Trotz des hohen Anteils an Bergen sowie des Umstands, dass die Schweiz über keinen direkten Zugang zum Meer verfügt, erwirtschaftet das Land eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit und belegte auf der Liste des Indexes der menschlichen Entwicklung im Jahr 2019 hinter Norwegen den zweiten Rang. Der Grund hierfür ist unter anderem in der Geografie, aber auch in der Geschichte des Landes zu suchen – die wiederum durch die Geografie bestimmt wurde. Eine Analyse.

 

Ein Bündnis – und eine große Schlacht

Das europäische Mittelalter war geprägt von den Spannungen zwischen Kaiser- und Papsttum, die frühe Neuzeit vom Gegensatz zwischen dem Habsburger Reich und Frankreich. Beides betraf die Schweiz aufgrund ihrer geografischen Lage in besonderem Maße. Im Spannungsfeld zwischen den jeweiligen Machtblöcken schlossen sich die drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden im Jahr 1291 zur Alten Eidgenossenschaft zusammen – sie sind also gewissermaßen die Urzellen der heutigen Schweiz. In den folgenden Jahrzehnten traten weitere Kantone dem Bündnis bei. Im frühen 16. Jahrhundert agierten sie sogar als Kriegspartei außerhalb der Schweizer Grenzen, und zwar tief im Herzogtum Mailand, das, wie auch der Rest Italiens, schon lange Zankapfel verschiedener ausländischer Mächte war, wobei vor allem Frankreich – dynastisch vermeintlich begründete – Gebietsansprüche erhob. Allerdings unterlagen die Eidgenossen in der Schlacht von Marignano im September 1515 einer französisch-venezianischen Koalition. Seitdem hat die Schweiz keine expansive Politik mehr verfolgt, sondern eine der Neutralität. Der Kanton Tessin allerdings, den die Eidgenossen den Herzögen von Mailand zuvor in einer Reihe von Auseinandersetzungen entrissen hatten, gehört noch heute zur Schweiz. Mit diesem Gebietszugewinn hatten die Schweizer die strategisch wichtige beidseitige Kontrolle über den Gotthardpass erlangt, über den seit dem Mittelalter eine der Hauptverkehrsadern zwischen Süd- und Nordeuropa führt.

Während die Amtssprache des Tessin Italienisch ist, ist die in der Schweiz am weitesten verbreitete Sprache Deutsch. Im Westen des Landes spricht man Französisch und im Kanton Graubünden auch Rätoromanisch. Die historische Entwicklung der Schweiz aus einem Zweckbündnis verschiedener Kantone heraus sowie ihre Vielsprachigkeit mögen den ausgeprägten Föderalismus des Landes erklären. Die 26 Kantone nennen mit dem – extrem harten – Schweizer Franken zwar eine gemeinsame Währung ihr Eigen, verfolgen die gleiche Außenpolitik und würden im Ernstfall allesamt vom Schweizer Bundesheer verteidigt werden, entscheiden aber selbständig über ihren Haushalt und die jeweiligen Steuern. Zahlreiche Volksabstimmungen gehören zur demokratischen Tradition des Landes. Ein traditionelles Misstrauen gegenüber zentralistischen Strukturen, wie sie beispielsweise in der EU immer deutlicher zutage treten, wird vor diesem Hintergrund verständlich.

 

Steuern, Banken, Industrie

Bisher ist die Schweiz – die als einer von wenigen westeuropäischen Staaten kein Mitglied der EU ist – mit ihrer Neutralitätspolitik gut gefahren. Als eines der drei sogenannten DACH-Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz) liegt sie nicht nur zwischen den industriell am stärksten entwickelten Regionen der EU – Süddeutschland und Oberitalien – sondern ist selbst auch ein industrielles Schwergewicht, insbesondere im Maschinenbau und in der Pharma-Industrie. In letzterem Bereich hat die Schweiz gewissermaßen das Erbe Deutschlands angetreten, das seine einst führende Position auf diesem Gebiet nach dem Zweiten Weltkrieg eingebüßt hat. Die Schweiz ist also nicht nur Steuerparadies und Finanzzentrum – sie ist eine äußerst hoch entwickelte Industrie-Nation, die von einem hervorragend funktionierenden Bildungswesen profitiert. Ihre Vorzeige-Hochschule, die ETH Zürich, belegt im Ranking internationaler Universitäten regelmäßig Spitzenplätze.

 

Neutralität und Balance

Möglicherweise ist die Alpenrepublik, die aus einem Verteidigungsbündnis hervorgegangen ist, auch deshalb so erfolgreich, weil sie niemals Zentrum, ja noch nicht einmal Teil eines Imperiums war. Durch ihre Neutralität konnten die Schweizer Vermögen aufbauen und halten, die anderswo, vor allem in Deutschland, durch Kriege, Niederlagen und Reparationen vernichtet wurden. Zudem haben zahlreiche internationale Organisationen hier ihren Sitz, so die Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, das Internationale Olympische Komitee (IOK) in Lausanne sowie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die „Zentralbank der Zentralbanken“, in Basel. Umgeben von den EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien profitiert die Schweiz von einem stabilen Europa und setzt in ihren internationalen Beziehungen auf eine bemerkenswert ausgereifte Diplomatie. Allerdings ist die Schweiz auf freundschaftliche Beziehungen zu ihren Nachbarstaaten angewiesen. Zwar nicht sicherheitspolitisch – Krieg in diesem Teil Europas ist so gut wie ausgeschlossen -, aber in wirtschaftlicher Hinsicht, schließlich verfügt das Land über keinen Zugang zum Meer und ist von den Häfen Süd- und Mitteleuropas abhängig. Derzeit ist dieser Zugang jedoch in keiner Weise gefährdet – wenn überhaupt, liegt ein Risiko für den Wirtschaftsstandort Schweiz eher in der Schwäche der deutschen Infrastruktur, wie die wiederholte Unterbrechung der Rheintalbahn, über die Schweizer Exportgüter in den Hafen von Rotterdam transportiert werden, immer wieder zeigt.

Daraus ergibt sich: Auch in Zukunft dürfte der Erfolg der reichen Eidgenossenschaft im Herzen Europas nicht zuletzt davon abhängen, dass sie die richtige Balance zwischen Kooperation mit der EU und Eigenständigkeit findet.

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